Reminiszere - Erinnere dich!
Der heutige Sonntag heißt Reminiszere – das bedeutet "Erinnere dich"
Klingt ein bisschen wie eine Notiz, die man sich selbst auf einen Post-it klebt.
Wenn ich so unterwegs bin, beobachte ich folgendes: ob am Bahnhof, in der Fußgängerzone, an der Ampel:
Um mich herum lauter Menschen, die Nasen in ihre Handys getaucht. Ich natürlich auch
– scrollend durch Instagram und dabei fast den Wechsel auf Grün verpasst.
Wir alle stehen wie Zombies. Verbunden mit der ganzen Welt und trotzdem irgendwie allein.
"Luft holen – 7 Wochen ohne Panik" – heißt das Fastenmotto dieses Jahr in der evangelischen Kirche.
Atme, sei locker - auch wenn Dinge ganz anders kommen, als gedacht, geplant, vorgestellt.
Unterbrechungen im Leben - davon haben wir gehört- in diesen beiden alten Geschichten aus der Bibel, die so gar nicht in unsere durchgetaktete Welt passen.
Da ist Abraham, dem Gott einen Sternenhimmel zeigt
und sagt: "So viele Nachkommen wirst du haben."
Und dann die andere Geschichte:
Jesus nimmt seine Freunde mit auf einen Berg.
Und plötzlich fängt er an zu leuchten,
und Mose und Elija erscheinen.
Bei beiden Erzählungen geht es um eine Veränderung,
und diese beginnt jeweils mit einer Unterbrechung.
Nicht mit kleinen Schritten.
Nicht mit sorgfältigem Planen.
Sondern mit Momenten, in denen alles stillsteht und plötzlich etwas Neues möglich wird.
Ich selbst tue mir schwer mit Unterbrechungen.
Ich fühle mich wohl in Gewohnheiten.
Ich trinke meinen Kaffee fast immer aus derselben Tasse, höre meist dieselbe Playlist beim Joggen.
Routinen heißt Sicherheit.
Aber was, wenn gerade in diesen Unterbrechungen
die Chance auf etwas Besonderes liegt?
Denkt mal an wichtige Veränderungen im eigenen Leben. Kamen die durch vorsichtiges Planen?
Oder durch unerwartete Begegnungen, Zufälle, Umbrüche?
„Verschaff mir Recht - Liebe hat viele Gesichter"
– die Ausstellung, die derzeit hier zu sehen ist.
Da erzählen Menschen ihre Geschichten.
Menschen, die lieben und leben und in den Augen mancher in ihren jeweiligen Herkunftsländern nicht in die Schublade passen.
Mich beeindruckt, dass die Menschen trotz aller Schwierigkeiten für sich die Erkenntnis gewonnen haben: "Ich bin so gemacht. Und so bin ich gut."
Eine Unterbrechung der ganzen Selbstsicht.
Erschütternd und befreiend zugleich.
In einer Welt, in der politische Stimmen lauter werden,
die behaupten zu wissen, wer dazugehört und wer nicht, wird diese Art von Unterbrechung besonders wichtig.
der Gott, der Abraham unter den Sternenhimmel führt,
ist ein Gott, der Grenzen sprengt.
Der Gott, der auf dem Berg erscheint,
ist ein Gott der Überraschungen.
Stellt euch vor von diesem Gott unterbrochen zu werden.
In beiden Geschichten führt die Unterbrechung nicht sofort zum Happy End.
Abraham muss noch lange warten, bis er tatsächlich Vater wird.
Die Freunde müssen vom Berg runter und mit Jesus weiterziehen, durch schwere Zeiten.
Aber die Unterbrechung hat etwas in Gang gesetzt.
Sie hat eine Tür geöffnet.
Der heutige Sonntag heißt "Erinnere dich".
Wir erinnern uns an einen Gott, der unterbricht.
Der in Gewohnheiten einbricht und sagt:
"Es gibt noch andere Möglichkeiten.
Es gibt Hoffnung jenseits deiner Vorstellungskraft."
Ich lade euch ein,
in eurem Alltag Momente der Unterbrechung zu schaffen. Momente, in denen ihr innehaltet und nach oben schaut. Momente, in denen ihr offen seid für Überraschungen. Momente, in denen ihr selbst für andere zur guten Überraschung werdet.
In einer Welt, die Gleichschritt liebt,
sind wir aufgerufen, liebevoll Sand im Getriebe zu sein. Durch ein freundliches Wort, wo Schweigen erwartet wird. Durch eine unerwartete Geste der Großzügigkeit.
Durch ein mutiges Eintreten für jemanden,
der am Rand steht.
Das Spannende an Abraham und den Freunden von Jesus: Sie hatten keine Garantie.
Keinen Beweis, dass die Unterbrechung zu etwas Gutem führen würde. Sie hatten nur Vertrauen.
Und vielleicht ist genau dieses Vertrauen der Schlüssel. Vielleicht ist es das, was uns hilft,
uns unterbrechen zu lassen und selbst Unterbrechung zu sein.In einer Welt voller Probleme brauchen wir mehr denn je den Mut zur Unterbrechung.
Zur radikalen Unterbrechung unserer gewohnten Denkmuster.
Echte Veränderung beginnt mit Unterbrechung.
Lasst uns gemeinsam unterbrechen und unterbrochen werden – für eine Welt, die es dringend braucht.
Amen.