Sende mich!

In unserer Sakristei hängt ein besonderes Kunstwerk von Alexander Silveri, einem bekannten Grazer Bildhauer und Schnitzer. Ich habe dieses Holztafel hervorgeholt, denn heute muss sie gezeigt werden. Sie stellt bildlich die heutige Lesung dar, die Berufung des Propheten Jesaja. Wer in den Schlosshof von St. Martin kommt, wird sehen, dass diese Holzschnitzerei ein Entwurf für eine Bronzeplastik ist, die neben dem Kücheneingang im Innenhof zu finden ist. Silveri trifft mit seiner Kunst die Dramatik des Geschehens. Wir sehen in der Mitte des Bildes den Propheten. Er geht in die Knie und beugt sich nach hinten. Die Arme hängen schlaff herab, der Kopf ist verdreht und seine Augen sind weit aufgerissen und starren uns an. Auf diesen Menschen, der zu Boden geht, steigt ein Engel, einer der Serafim ganz leichtfüßig. In seiner Linken hält er die Zange mit der glühenden Kohle, mit der er die Lippen des Berufenen reinigt. Unter den Füßen des Propheten sehen wir die Tempelstufen angedeutet, die zerbrechen und in Stücke fallen – sonst ist vom Tempel nichts zu erkennen. Jesaja wirkt ganz und gar überwältigt – ein Mensch der mit der überirdischen Herrlichkeit Gottes in Berührung kommt. Dieses Bild trifft die Intention der Berufungserzählung aus dem Buch Jesaja.
Wir kennen auch Momente im Leben, wo uns scheinbar der Boden unter unseren Füßen weggezogen wird. Auch im religiösen Erfahrungsschatz gibt es solche Begebenheiten. Das Göttliche bricht persönlich erfahrbar in unsere Wirklichkeit und nimmt uns ganz ein. Dabei geht es nicht um spirituelle Gewalt oder gar Missbrauch sondern um die Erfahrung des Religiösen als mysterium tremendum et fascinosum. D.h. das göttliche Geheimnis ist abschreckend und anziehend zugleich.
Die Erfahrung des Jesaja im Tempel von Jerusalem ist ein Eintauchen in dieses Mysterium des Göttlichen. Er fühlt sich unwürdig für diese Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes, genauso wie Petrus im Evangelium nach dem reichen Fischfang. Aber Jesaja und Petrus werden in dieser Begegnung nicht niedergedrückt, sondern begeistert und ermutigt sich senden zu lassen, ihrer Mission zu folgen.
Das klingt nach religiösem Spezialistentum weit weg von uns. Aber gerade an diese Berufungsgeschichte des Jesaja werden wir in jeder Messfeier doppelt erinnert. Bei jeder Messe stimmen wir den Gesang der Serafim an, das dreifache Heilig. Wir lassen uns im Hochgebet der Messe hineinnehmen in die großartige Vision des Jesajas von der überwältigenden Heiligkeit Gottes, der mit seiner Herrlichkeit die ganze Erde erfüllt. Für uns als Getaufte, die an Jesus als den Christus glauben zeigt sich dieselbe Herrlichkeit Gottes im Kommen Jesu und in seiner Lebensmission, in seinem Sterben und Auferstehen.
Und der zweite Bezug liegt in den letzten Worten, die in jeder Messe gesprochen werden: Geht in Frieden! Das ist kein harmloser Wunsch sondern die Sendung. Wir sind beauftragt, das, was wir hier im Gottesdienst gefeiert und erlebt haben, in den Alltag zu tragen und mit Leben zu erfüllen. Ursprünglich lautet die Sendung auf Latein: Ite, missa est. Geht, ihr seid gesandt! Das ist ein bisschen deutlicher als Geht in Frieden.
Aufgeweckt – vielleicht erschreckt – und fasziniert angezogen von der Berufung des Jesaja, darf in uns heute seine Antwort nachklingen: Sende mich!
AMEN!