Du bist mein geliebtes Kind
Taufe Jesu, Sonntag 12.1.25 CK 9 Uhr
Wenn ein Erwachsener in unserer katholischen Kirche getauft wird, dann muss er oder sie eine Vorbereitungszeit von mindestens einem Jahr durchlaufen. Zuerst gibt es eine Phase des Kennenlernens und der Entscheidung, dann die Phase des Katechumenats, d.h. der Unterweisung und in den letzten Wochen vor der Taufe, die direkte Vorbereitung auf den Sakramenten-empfang von Taufe, Firmung und Eucharistie. Aber auch nach der Taufe gibt es eine weitere, vertiefende Einführung in die Glaubenspraxis über ein Jahr, die sogenannte Mystagogie.
Bei einer solchen Vertiefung ist mir eine alte Geschichte wieder untergekommen, die gut zum heutigen Fest der Taufe Jesu passt. Sie heißt:
Der Sprung in den Brunnen:
Da ging eines Tages ein junger Mann zu seinen Brüdern. Er sagte zu ihnen: „Gebt acht! Ich will, dass wir zusammen einen merkwürdigen Ort aufsuchen.“
„Wohin willst du uns denn führen?“ fragten die Brüder. „Ich will euch dorthin führen, wo ihr die Wahrheit über euch selbst erfahren sollt.“
Die Brüder baten ihn: „Lass es doch sein, es lohnt sich nicht. Danke, wozu sollen wir schon wieder ausziehen?“ Sie wollten nicht gehen. Der Jüngste aber bestand darauf: „Entweder kommt ihr mit, anders will ich nicht weiterleben!“ So zwang er sie, mit ihm zu gehen.
Sie gingen lange, und noch am selben Tage kamen sie zu jenem Brunnen. Der Jüngste sagte zum Ältesten: „Ich will dich anbinden und in den Brunnen hinunterlassen. Schau dir an, was es dort im Brunnen gibt.“
Der Älteste fing zu schreien an. „Warum willst du mich in den Brunnen hinunterlassen?“ Er hatte Angst, in den Brunnen zu gehen. Er bat um Gnade. Der Jüngste sagte zu ihm: „Bitte nicht um Gnade, wir müssen dorthin!“ Er band ihm den Strick um und ließ ihn hinunter. Aber kaum war der Bruder ein paar Meter tief, fing er zu schreien und zu weinen an, – noch ein bisschen, und die Angst zerreißt ihn. „Ich sterbe, ich sterbe!“ Er war noch nicht einmal ein Viertel des Brunnens hinunter. Der junge Mann zog ihn heraus, denn er sah, was für ein Mensch das war.
Dann kam der zweite. Der junge Mann band auch ihn und ließ ihn hinunter. Er war kaum bis zur Hälfte des Brunnens gekommen, da begann er zu schreien vor lauter Angst. „Ich sterbe, ich sterbe!“ Er zog ihn heraus.
Dann kam die Reihe an den Jüngsten. Er sagte: „Hört zu! Wieviel ich auch weinen und schreien werde, zieht mich nicht hoch. Lasst mich hinunter, bis ihr fühlt, dass der Strick leicht geworden ist.“ Die Brüder fingen ihn zu bitten an: „Du bist unser Jüngster! Warum willst du von uns gehen?“ Sie baten, er möge sie doch nicht verlassen, aber er wollte nicht auf sie hören. Da banden sie ihn und ließen ihn hinunter.
Diese Geschichte spricht vom Eintauchen in die eigene Seele. Es ist oft schwer wirklich still zu werden, in sich zu gehen, die eigene Wahrheit zu erforschen und auszuhalten. Aber es ist die einzige Möglichkeit zur Quelle unseres Daseins zu kommen. Diese Geschichte will neugierig machen und einladen zu einem geistlichen Leben, zu einem Gebetsleben. Die Quelle unseres Glaubensleben ist Jesus Christus. Wer sich auf ihn einlässt wird sich selbst kennenlernen und die Welt mit neuen Augen sehen lernen.
Taufe, Getauft-sein bedeutet sich voll uns ganz einzulassen auf die Wirklichkeit, die tief in mir da ist. Auf diesen inneren Lebensstrom, die sprudelnde Quelle der göttlichen Wirklichkeit, die uns ein volles Dasein verspricht. Springen wir in den Brunnen. Tauchen wir unter und dann werden wir die Stimme des Himmels in uns hören können:
Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter. AMEN!