Ein bisschen so wie Martin sein
“Ein bisschen so wie Martin sein...” In diesen Tagen feiern wir in vielen Pfarrkindergärten Martinsfeste. Mit großer Begeisterung sind die Kinder dabei, Pädagoginnen und Betreuerinnen investieren viel Zeit in die Vorbereitung, Eltern und Großeltern sind gerührt und begeistert. Dabei wird versucht, nicht nur eine interessante alte Geschichte zu erzählen, sondern den Inhalt ins Heute zu übersetzen. Wie können denn wir heute “ein bisschen so wie Martin sein”? Im Kindergarten, in der Familie, mit unseren Freund*innen; für Erwachsene stellt sich die Frage auch in der Nachbarschaft oder bei der Arbeit. So einfach und klar das erscheint, bin ich doch hin- und hergerissen, ob das einfach ein sozialromantisches Schauspiel ist oder Einfluss auf mein Leben hat. Mit dieser Frage bin ich mitten in unseren heutigen Lesungstexten. In der Lesung und im Evangelium begegnen uns zwei Frauen aus der untersten Schicht – sie sind beide Witwen und somit in einer sozialen Krisensituation. Im Alten Testament gelten Witwen (und Waisen) als besonders schutzbedürftig, und es galt als religiöse Pflicht, für sie zu sorgen. Umso erstaunlicher, dass Elija von der Witwe zu trinken und dann auch noch zu essen verlangt. Wie so oft kommt es auch hier auf den Blickwinkel an. Ich kann Elija als wenig einfühlsam und egoistisch ansehen, oder ich kann es schätzen, dass er der Frau etwas zutraut und somit ihren eigenen Blick weg von ihrem großen Mangel lenkt auf das, was sie trotz ihrer Armut und verzweifelten Situation geben kann. Vielleicht gelingt es ihr deshalb, auf das Wort des Propheten zu vertrauen, dass der Mehltopf nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen würde.
Die arme Witwe im Evangelium gibt gleich alles, was sie hat und das ohne Aufforderung. Über ihre Motivation erfahren wir nichts. Das Geld im Opferkasten wurde unter den Armen aufgeteilt. Dazu hat sie ihren Beitrag gegeben. Jesus stellt sie darauf seinen Jüngern als Beispiel vor Augen. Denn im Gegensatz zu jenen, die etwas von ihrem Überfluss abgeben, gibt die Witwe quasi alles, was sie hat.
Da hat sich in den letzten 2000 Jahren anscheinend nicht viel verändert. Immer noch gibt es in unserer Gesellschaft Arme und Reiche, die Schere dazwischen wird immer größer. Die “Witwen von Heute” sind z.B. Alleinerziehende, die kaum über die Runden kommen, Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden und sich am ersten Arbeitsmarkt schwertun, Obdachlose, Geflüchtete, die jahrelang auf einen positiven Asylbescheid warten, Mütter, Kinder, Großmütter in Gaza oder in der Ukraine. Beim Sternsingen habe ich auch schon öfters die Erfahrung gemacht, dass ältere und sichtlich nicht besonders begüterte Menschen “mehr” geben als jene, die es sich leichter leisten könnten. Das zeigt mir, dass es auch heute noch Menschen gibt, die zutiefst solidarisch leben, die bereit sind zu teilen, solange es Politiker*innen nicht gelingt, gerechtere Verhältnisse zu schaffen. Das sind auch alle, die sich in den Pfarren in der Vinzenzgemeinschaft oder Pfarcaritas engagieren, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten und so nicht nur dringend benötigte finanzielle Unterstützung geben, sondern die Menschen wahrnehmen und ihnen helfen, ihr Potential zu entdecken. So können sie Hoffnung schöpfen, aus der Armutsspirale herauszukommen. Wenn wir Menschen, die es schwer haben, auf Augenhöhe begegnen, ist das bereits ein erster Schritt, dass jede*r von uns ein bisschen so wie Martin sein kann. Amen.