Gottesliebe - wie geht das?
Ich erinnere mich noch sehr gut. Es war vor 40 Jahren im Grazer Priesterseminar nach einem Mittagessen. Einer meiner Kollegen, ein sogenannter Spätberufener – 10 Jahre älter als ich – war für das Tischgebet eingeteilt gewesen. Wir hatten ganz fein aus-formulierte Gebete mit Anklängen an die Psalmen und andere Bibelstellen in unserem Gebetsheft für das Essen. Beim Abschlussgebet nach dem Essen war wieder einmal von der Gottesliebe die Rede gewesen. Beim Hinausgehen kam Erich auf mich zu sagte: Du, wie geht das eigentlich: Gott lieben? Was heißt das?
Das ist gesessen. Wie kann ich Gott lieben? Ich gebe zu, ich war damals als Jungtheologe überfragt und weiß nicht mehr, was ich darauf schnell geantwortet habe.
War das für euch, für Sie auch schon einmal eine ernste Fragestellung?
Als katholisch geprägte Christinnen und Christen fällt uns auf diese Frage vielleicht ein Pflichtenkatalog ein, den wir im Religionsunterricht oder durch Familientraditionen gelernt haben: Sonntag in die Kirche gehen, in der Früh und am Abend beten, die 10 Gebote halten, vielleicht auch wieder einmal beichten gehen… Das gefällt Gott, oder?
Ist das aber schon Liebe, Gottesliebe? Brauchst Gott diese „Liebesbeweise“? Was heißt es wirklich: Gott „mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben“?
Im ersten Wort der biblischen Formulierung zu diesem Aufruf zur Gottesliebe steckt schon die erste Antwort:
Höre! Damit fängst die Liebe an. Aufmerksam sein, Ohren und das Herz öffnen. Aus dem Denken und dem Kreisen um sich selbst aussteigen und wirklich ganz da sein und zuhören. Das ist schon Liebe. Damit lasse ich etwas anderes zu, ich lasse mir etwas sagen und ich lasse mich dadurch vielleicht verändern. Ich werde dabei wahrscheinlich noch keine intensiven Gefühle haben, wenn ich dieser klaren Entscheidung folge. Aber ich setze damit Gott an eine bevorzugte Stelle. Ich lasse mir von ihm etwas sagen.
Wenn ich den Mut zur Stille habe und mich einhöre auf das, was Gott mir sagen will, dann werden nicht Handlungsanweisungen kommen, Gesetze und Regeln, die auszuführen sind. Wenn ich der biblischen Botschaft vertraue, dann wird zuerst eine Zusage zu hören sein: Es ist gut, dass du da bist. Dann heißt Gott lieben nicht, irgendetwas Unangenehmes oder Schwieriges stemmen zu müssen, sondern mir sagen zu lassen vom tragenden Grund meines Daseins: Ich liebe dich. Es ist gut so, wie du bist. Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn. Dafür soll ich meinen Alltag immer wieder unterbrechen. Höre Israel!
Und das zweite? Den anderen lieben, weil der oder die ist ja wie du selbst. Nächstenliebe und Selbstliebe ist nicht auseinander zu dividieren. Dazu eine Erkenntnis aus der anthropologischen Forschung:
Eine bekannte Forscherin wurde von Studenten gefragt, welcher Gegenstand als ein erstes Anzeichen unserer Zivilisation gewertet werden kann. Die Hörer hatten wahrscheinlich an ein Werkzeug oder gar an eine Waffe gedacht, also irgendetwas Handgreifliches. Doch nach kurzer Bedenkzeit antwortete die Anthropologin überraschend: Ein verheilter Knochen! Wenn Tiere sich auf freier Wildbahn einen Knochen brechen, dann sind ihre Überlebenschance gleich null. Ein Bruch dauert ja einige Wochen bis er wieder zusammenwächst, in dieser Zeit können sie nicht zu einer Quelle oder zur Nahrung kommen, oder werden von anderen Tieren gefressen. Knochenfunde, die beweisen, dass eine/r ca. vor 30.000 Jahren, mit einem gebrochenen Oberschenkelknochen überlebt hatte, sprechen dafür, dass da jemand da war, der sich um den oder die andere angenommen hat. Die ersten Anzeichen unserer Zivilisation sind nicht Waffen oder Werkzeuge sondern unsere Fähigkeit, uns nicht mehr nur um uns selbst, sondern um andere zu kümmern. Liebe deinen Nächsten, du bist wie er oder sie selbst. AMEN!