Du wirst ein Segen sein!
Was war die letzte große Entscheidung, die Sie in Ihrem Leben getroffen haben? -
Was hat Ihnen bei der Entscheidungsfindung geholfen? - Gründliches Nachdenken, Abwägen von Pro und Contra, Austausch mit anderen Menschen? Meistens ist das ein kluges und überlegtes Vorgehen. Wenn ich auf die größeren Entscheidungen in meinem Leben zurückblicke, war ich meist eher spontan unterwegs. Ich habe auf mein Bauchgefühl gehört, nicht viel überlegt, mir vor allem wenig Gedanken über die Konsequenzen gemacht. Dazu gehörte u.a. die Wahl meines Studiums, meines Wohnortes, ja, sogar meines Berufes. Ich würde Ihnen nun zu gern sagen können, dass ich mich da von der Bibel inspirieren ließ, dass mir z.B. Abram ein großes Vorbild war, aber das wäre gelogen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. 😊
Wenn wir uns den Lesungstext in Erinnerung rufen, verlangt JHWH Unglaubliches von Abram: “Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde!” Und nach einem großartigen Versprechen Gottes an Abram heißt es ganz einfach: “Da ging Abram, wie der HERR ihm gesagt hatte.” Abraham, wie er später heißen wird, weil Gott ihn zum Vater vieler Völker macht, gilt als großes Vorbild im Glauben, im Vertrauen auf Gott. Diese kurze Erzählung ist eingebettet in die Geschichte des Volkes Israel, ein Volk, das lange unterwegs ist in das Gelobte Land, ein Volk, das Erfahrungen mit Gott macht bzw. viele Erfahrungen im Licht seines Glaubens gedeutet hat. Was auch geschieht, Abraham vertraut auf Gott, und mitten in allen Wirren seines langen Lebens, in all den Veränderungen, auf die er sich einlassen muss, ist Gott als kontinuierlicher Begleiter mit ihm und den Seinen unterwegs.
Hören wir noch einmal auf Gottes Versprechen an Abram: “Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.” Doch was ist dieser Segen, was können wir darunter verstehen? Etwas, das wir nicht in der Hand haben, sondern eine besondere Zuwendung, die Bitte um Schutz, Beistand und Kraft für alle Stürme unseres Lebens. Der Segen ist zum einen etwas, das uns niemand nehmen kann, zum anderen eine Geste bzw. ein Zuspruch, der täglich wiederholt werden kann. Der große evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb 1944 im Gefängnis in Berlin-Tegel:
Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. Segnen heißt, die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. So tun wir es mit der Welt, die uns solches Leiden zufügt. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung, wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich, er erneuere dich, sei gesegnet, du von Gott geschaffene Welt, die du deinem Schöpfer und Erlöser gehörst. Wir haben Gottes Segen empfangen in Glück und in Leiden.
Wer aber selbst gesegnet wurde, der kann nicht mehr anders,
als diesen Segen weitergeben, ja, er muss dort, wo er ist,
ein Segen sein. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden. Dies Unmögliche ist der Segen Gottes.“
Egal, ob wir an die Geschichte von Abraham und Sara mit Gott denken, an die vielen Menschen, die im 2. Weltkrieg getötet wurden, ob wir an die Menschen in der Ukraine, in Israel und Palästina denken, an Menschen, die auch heute unter Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung leiden; ob wir an Menschen denken, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt oder getötet werden: die Zusage Gottes gilt auch heute jeder und jedem, der offen dafür ist. Dieser Segen Gottes ist uns zugesagt in Freud und Leid. Mit dem Segen Gottes ist es ähnlich wie mit der Liebe: Wenn wir ihn teilen, wird er nicht weniger, sondern er wächst und kann eine ungeheure Kraft entwickeln. Im Gottesdienst kennen wir den Segen meist am Ende, nach dem Motto “Das Beste kommt zum Schluss”. Wir alle sind eingeladen, auch im Alltag einander immer wieder diesen Segen zuzusprechen und ihn auch spürbar zu machen. Für mich schwingt da immer mit: Du bist gewollt und gut, so wie du bist, du bist geliebt, du bist wertvoll. In manchen Familien ist es Tradition, dass Kinder ihre Eltern beim Weggehen in der Früh segnen oder beim Schlafengehen, vielleicht machen das Partner*innen gegenseitig. Ich kann auch ein Segen für andere sein, wenn ich zuhöre, mich aktiv einem anderen Menschen zuwende. Gesegnet fühle ich mich, wenn da jemand ist, dem ich vertrauen oder bei dem/der ich mich anlehnen kann, die/der die Hand auf mich legt.
So wollen wir uns in diesem Gottesdienst zu diesem Gott des Segens bekennen, ihm danken für sein Mitgehen mit all unseren individuellen Lebensentwürfen. Wenn wir große Schritte tun, wenn wir große Entscheidungen treffen, wenn wir den Mut fassen, uns zu outen, offen zu uns selbst zu stehen, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott da ist, auch und gerade dann, wenn wir es gerade schwer haben im Leben. Der Segen Gottes gibt uns Mut, uns in unserer Gesellschaft sichtbar machen und zu dem zu stehen, wie und wer wir sind. Es braucht gerade aktuell diese mutigen Menschen in der Community, zu der ganz verschiedenen Menschen gehören, und Menschen außerhalb, die Solidarität und Zuwendung zeigen und für die Rechte von queeren Menschen einstehen. Was uns dabei helfen kann, ist uns immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass jede*r von uns zum Segen werden kann. Dazu braucht es ebenfalls unsere Entscheidung, unser klares Ja. Wenn wir unsere Welt zu einem besseren Ort für viele machen wollen, werden wir das kaum mit menschlicher Anstrengung und Kraft erreichen. Also nehmen wir das Unmögliche zu Hilfe und vertrauen wir auf Gottes Zusage: “Du wirst ein Segen sein.” Amen!