Menschenrechte und wir
Eigentlich hätte ich heute vor Ihnen stehen und mich – als Nicht-Theologin – im Predigen üben dürfen. Es hat nicht sein sollen.
Die Idee dazu ist ursprünglich von Pfarrer Schwarz im Spaß ausgesprochen, und von mir wohl auch im Spaß angenommen worden. Spätestens jedoch als wir uns über das Thema – nämlich „Menschenrechte und wir“ - einig waren, war klar: diese Predigt wird stattfinden, wenn nötig halt in geschriebener Form.
Am 10. Dezember – dem Internationalen Tag der Menschenrechte – wird uns wieder in Erinnerung gerufen, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen nach den Gräueln des zweiten Weltkrieges 1948 eine ganz besondere Resolution verkündet hat: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich auf jeden einzelnen der 30 Artikel einginge, deswegen wähle ich lediglich den ersten Satz des ersten Artikels für eine nähere Betrachtung.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Es kann nun sein, dass allein das Wort „Recht“ vielleicht bei dem einen oder der anderen von Ihnen ganz bestimmte Bilder hervorruft – Bilder, die mit Justiz, Rechtsstaatlichkeit, Rechtsverletzungen und deren Folgen und Kosten zu tun haben. Aber so ins Detail geht die Menschenrechtserklärung gar nicht, sie stellt ein Ideal dar und diese Formulierung ist insoweit spektakulär, als sie doch erstmals ALLEN Menschen überhaupt Rechte zuspricht.
Es kann auch sein, dass man auf die Frage, was man selber – als Einzelperson - schon dazu beitragen könne, dass alle zu ihren Rechten kommen, keine befriedigende Antwort findet, liegt es doch im Aufgabenbereich eines Staates für das Rechtssystem zu sorgen.
Aber da ist ja auch noch von etwas anderem die Rede in diesem Artikel 1 der Menschenrechtserklärung: nämlich von der Würde – ein kleines Wort mit großer Bedeutung.
Durch meine Arbeit bin ich immer wieder zu verschiedenen Themen in Schulklassen tätig und in der Zusammenarbeit mit den Kindern zeigt sich: vielleicht können sie keine perfekte Definition des Begriffs Würde abgeben, wohl aber verknüpfen sie Gefühle damit. Gefühle, die entstehen, wenn ihnen Würde zuteilwird und leider oft noch viel mehr, wenn sie in ihrer Würde verletzt werden.
Um einem Menschen seine Würde zu geben, dafür braucht es keinen Staatsapparat, keine Gesetzesflut, kein Millionenbudget. Aber vielleicht braucht es dafür etwas, von dem auch im heutigen Evangelium die Rede ist: eine Umkehr. „Ändert euch von Grund auf!“ rät Johannes der Täufer uns Menschen.
Aber warum sollen wir dies tun? Was läuft denn bei uns so verkehrt, dass es notwendig ist, uns zur Umkehr aufzurufen? Wahrscheinlich fällt es uns sogar leichter, dafür Beispiele im Weltgeschehen zu finden, Beispiele wie Terror, Krieg und sonstige Katastrophen. Die wirkliche Herausforderung besteht jedoch darin, sensibel dafür zu werden, was in unserem Alltag einen würdevollen Umgang miteinander verhindert. Wo hindert uns Ignoranz daran, einen Mitmenschen wahrzunehmen, wo Voreingenommenheit, diesen Menschen so zu akzeptieren, wie er ist.
Und auch wenn die Aufforderung von Johannes eine ziemlich radikale ist, nämlich eine Änderung von Grund auf, glaube ich, dass auch diese mit dem berühmten ersten Schritt beginnen muss.
Jede und jeder von uns kann also Würde geben, ohne zeitliche, örtliche oder finanzielle Grenzen und in vielfacher Form: einem anderen Menschen zuhören oder ihn einfach auch nur erstmals bewusst wahrnehmen, ihn ernst nehmen, vielleicht einmal fragen „was brauchst du, wie kann ich dir helfen?“ bevor man davon ausgeht, eh schon zu wissen, was gut für ihn sei, …
So können wir alle einen Beitrag leisten, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte lebendig zu halten, zu zeigen, dass sie mehr ist als leere Worte, indem wir einem Mitmenschen Würde angedeihen lassen.