Stille Nacht, heilige Nacht
Kein Weihnachten ohne dieses Lied, keine Mette ohne dieses Lied, auch heuer, wenn alles anders ist. Wir werden nicht gemeinsam dieses Lied singen können, aber es wird uns vorgesungen und wir werden wenigstens mitsummen können.
Dieses Lied, das mittlerweile angeblich in über 300 Sprachen übersetzt wurde und auf der ganzen Welt intoniert wird, wurde vor 202 Jahren das erste Mal in Oberndorf in der Schifferkirche St. Nikola von Dorfschullehrer und Organisten Franz Xaver Gruber, der die Melodie komponiert hat und vom Hilfspfarrer Joseph Mohr, der schon zwei Jahre früher den Text geschrieben hat, zur Gitarre gesungen. Manche haben den Film „Das ewige Lied“ über die Entstehung von Stille Nacht gesehen und kennen die abenteuerliche Verbreitungsgeschichte.
Aber, was hat uns dieses Lied, über unseren christlichen Glauben zu sagen?
Von der Melodie und vom Rhythmus her ist Stille Nacht kein Volkslied sondern trotz seiner Einfachheit ein solistisches Kunstlied, das an die süditalienischen Pastoralen – Hirtenweisen erinnert. Dazu passt auch die ursprüngliche letzte Strophe, die jetzt als 2. Strophe gesungen wird: Hirten erst kundgemacht…
Im Text knüpft das Lied nicht an die Liturgie an sondern wahrscheinlich eher an ein Krippenspiel. Auch wenn im Lukasevangelium nirgends erzählt wird, dass Jesus in der Nacht geboren wurde, gibt es einen starken Text aus dem Buch der Weisheit im 1. Testament, der immer wieder aus christlicher Sicht mit Weihnachten in Verbindung gebracht wurde. Dort heißt es in Weish 18,14f: Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab… In diesem Zusammenhang ist zwar von der Osternacht, der Nacht der Befreiung aus Ägypten die Rede. Aber christlich gedeutet geht es gerade zu Weihnachten auch um diese Befreiungstat Gottes an uns. Weihnachten ein Fest der Erlösung. Darum Stille Nacht, heilige Nacht. Das ist ein Glaubensbekenntnis zur rettenden Tat Gottes an uns und nicht romantische Sentimentalität.
Im Liedtext steht Jesus im Mittelpunkt. Es wird nicht nur vom Knaben im lockigen Haar erzählt, sondern es werden genauso die Titel des Glaubens für Jesus erwähnt, in der 2. Strophe: Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund und vor allem im Refrain der letzten Strophe das große Bekenntnis: Jesus, der Retter, ist da! Oder später noch mehr verkirchlicht: Christ, der Retter, ist da.
Neu und typisch für die damalige Zeit des beginnenden Biedermeiers nach den Schrecken der Napoleonischen Kriege ist, dass die Eltern Jesu gleich in der 1. Strophe Erwähnung finden. Sie werden zwar nicht mit Namen genannt aber als das traute, heilige (später sogar als hochheilige) Paar bezeichnet. Das war die Sehnsucht der damaligen Zeit, dass wenigstens in den Ehen und Familien Ordnung und Frieden herrschen. Die Familien sollten die Orte der Geborgen-heit werden auch in den geistigen Umbrüchen der Zeit, in denen der Glauben gegenüber den modernen Wissenschaften in den Hintergrund gedrängt wurde.
Von den ursprünglichen sechs Strophen des Weihnachtsgedichtes von Joseph Mohr singen wir nur mehr drei und das sind genau die, die uns dieses romantische Familien- und Hirtenbild von Weihnachten vermitteln. Die anderen drei Strophen, die viel stärker die Aspekte des Glaubens und der Erlösung betonen, sind leider in Vergessenheit geraden. Aber wenn wir das Gotteslob auf Nummer 803 aufschlagen, finden wir den ganzen Text:
In der 3. Strophe ist von der Menschwerdung des Gottes Sohnes die Rede. Weihnachten ist Menschwerdung Gottes. Das ist das große Wunder: Stille Nacht, heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht, aus des Himmels goldenen Höh´n, uns der Gnaden Fülle lässt sehn: Jesus in Menschengestalt, Jesus in Menschengestalt.
In der 4. Strophe wird mit Leitworten aus der geistigen, modernen Strömung der Aufklärung der universale Charakter von Weihnachten angesprochen: Wo sich heut alle Macht väterlicher Liebe ergoss und als Bruder huldvoll umschloss: Jesus, die Völker der Welt, Jesus die Völker der Welt. Das meint Weihnachten, die Menschwerdung Gottes: Heute wird Jesus der Bruder aller Menschen.
Die 5. Strophe liefert die Begründung für die Menschwerdung Gottes und bezieht sich auf die christliche Lektüre des sogenannten Alten Testamentes. Lange schon uns bedacht, als der Herr, vom Grimme befreit, in der Väter urgrauen Zeit aller Welt Schonung verhieß, aller Welt Schonung verhieß. Diese Strophe erinnert aber sicher nicht nur an die Errettung Israels aus Ägypten sondern auch an die aktuellen, politischen Verhältnisse damals, als nach langen Kriegswirren Europa neu geordnet wieder im Frieden war.
Stille Nacht, heilige Nacht ist nicht einfach ein romantisches Allerweltslied sondern ein Glaubensbekenntnis zum rettenden Gott, der das, was in der Bibel erzählt und verheißen ist, immer wieder Wirklichkeit werden lässt.
Jesus der Retter ist da, auch heuer 2020! AMEN!